
Artikel aus Ausgabe #27 3/2019
NACHGEFRAGT BEI FLORIAN SCHNEIDER VON AWO PASSGENAU E.V., EINEM VEREIN DER ARBEITERWOHLFAHRT.
DER 38-JÄHRIGE BESCHÄFTIGT SICH SEIT MEHREREN JAHREN MIT DEM THEMA BLINDENREPORTAGE.
Seit wann wird Blindenreportage in Deutschland angeboten?
FLORIAN SCHNEIDER: Zum ersten
Mal wurde Blindenreportage 1999 bei
einem Fußballspiel zwischen Bayer Le-
verkusen gegen SSV Ulm getestet.
Wie viele Reporter gibt es?
SCHNEIDER: Insgesamt liegt die Zahl
bei 200.
Wieso ist ein Livespiel für Menschen eingeschränkter Sehkraft interessant?
SCHNEIDER: Ein Livespiel bedeutet
Teilhabe. Man geht ins Stadion, wie
alle anderen Zuschauer auch, und ge-
nießt das Event als Ganzes. Eine Ein-
schränkung oder Erblindung entsteht
oft erst im Laufe des Lebens als Folge
von einem Unfall oder einer Krank-
heit. Viele unserer Zuhörer sind bei-
spielsweise seit vielen Jahren im Besitz
einer Dauerkarte. Sie wollen weiterhin
die Spiele erleben, das ist allerdings
nur noch mit Hilfe der Blindenrepor-
tage möglich. Ins Stadion zu gehen be-
deutet auch einfach Normalität.
Was unterscheidet eine Blindenreportage
von einer Radioreportage?
SCHNEIDER: Die Radioreportage ist
ein Kommentar, in den viele Statis-tiken und subjektive Beobachtungen
eingestreut werden. Wir wiederum
beschreiben ganz genau, was auf dem
Feld passiert: Im Rückraum wird
der Ball abgefangen mit Pass auf den
Kreisläufer; der dreht sich um die
eigene Achse nach rechts und zielt
Richtung Tor nach links unten … Ein
Radiokommentator beschreibt
das
Gleiche wie folgt: Gegenangriff, schön
gemacht, eins zu null .
Wie funktioniert die Reportage bei einem
Spiel?
SCHNEIDER: Wir arbeiten meistens
in einem Dreierteam. Zwei Sprecher
kümmern sich um die Reportage,
der Dritte verantwortet die Tech-
nik. So war es beispielsweise bei der
Handball-WM. Jeder Reporter hat
eine Mannschaft übernommen und
erklärte ausschließlich die Aktionen
dieses Teams. Der Zuhörer wusste
somit anhand der Stimme, ob der
Ball gerade bei Deutschland oder bei
Korea ist.Sie waren für das WM-Projekt verant-
wortlich.
Bei welchen Spielen wurde die
Blindenreportage angeboten und wie vie-
le Nutzer gab es?
SCHNEIDER: Wir waren bei den Spie-
len
der Deutschen Nationalmann-
schaft in Berlin und in Köln. Während
der WM haben insgesamt 69 Men-
schen unsere Dienstleistung in An-
spruch genommen.
Wie bereitet sich ein Blindenreporter auf
exotische Gegner wie Japan oder Brasi-
lien vor?
SCHNEIDER: Unsere Vorbereitung ist
besonders intensiv. Wir kennen alle
Namen der Protagonisten und im Op-
timalfall auch die Ergebnisse der letz-
ten Spiele auswendig.
Das klingt sehr arbeitsintensiv für Ehren.
amtlichkeit….
SCHNEIDER: Wir sind schon etwas
über die Ehrenamtlichkeit hinaus.
Ich bin bei der Arbeiterwohlfahrt, ge-
nauer gesagt bei dessen Verein AWO
Passgenau, fest angestellt und unse-
re Blindenreporter, die so ein Groß-
turnier wie eine Weltmeisterschaft
begleiten,
bekommen
selbstver-
ständlich ein angemessenes Hono-
rar. Professionalität muss entlohnt
werden.
Kann jeder Blindenreporter werden?
SCHNEIDER: Grundsätzlich schon.
Die DFL bietet mittlerweile im elften
Jahr eine spezielle Schulung an, bei
der Blindenreporter ausbildet wer-
den. Wir arbeiten bei AWO Passge-
nau aktuell an einer Zertifizierung
für die Blindenreportage. Dabei wer-
den auch wissenschaftliche Aspekte
berücksichtigt.
Wenn ein Handballclub bei den Heim-
spielen die Blindenreportage anbieten
möchte…
SCHNEIDER: Dann kommen wir
für eine Beratung gerne vorbei. Wir
zeigen in einem Erstgespräch ver-
schiedene Möglichkeiten auf, auch
im technischen Bereich. Erst die Um-
setzung ist für den Club mit Kosten
verbunden.